Isabell Werth in Essen: Warum Pferde so gute Therapeuten sind

 

Essen. Dressur-Ikone Isabell Werth wird Schirmherrin auf dem Essener Carolinenhof. Auch FUNKE-Verlegerin Julia Becker unterstützt das integrative Reitprojekt.

Für Dressur-Reiterin Isabell Werth ist der Pferderücken auch „mein Therapieplatz“. Im Umgang mit den Tieren findet die Sportlerin allerdings nicht nur Ausgleich und Ruhe, sondern sammelt seit Jahrzehnten auch jede Menge Erfolge. Die bislang erfolgreichste deutsche Olympionikin aller Zeiten ist mit 55 Jahren immer noch der unangefochtene Star im deutschen Reitsport, wie man auch beim CHIO in Aachen dieser Tage wieder erleben kann.

 

Für ein besonderes Herzensprojekt machte die Dressur-Ikone am Sonntag, (29. Juni) vorab noch einen Abstecher nach Essen-Kettwig auf den Carolinenhof. Als neue Schirmherrin beim dortigen Sommerfest sprach die erfolgreiche Reitsportlerin nicht nur über die Wichtigkeit der deutschen Olympia-Bewerbung und ihre eigene, mögliche Teilnahme bei Olympia 2028 in Los Angeles („wenn ich so fit und wettkampffähig bin wie bisher, sieht es gut aus“). Ein wichtiges Anliegen für die erfolgreiche Reitsportlerin ist auch die Förderung des therapeutischen Reitens, das auf dem Essener Carolinenhof seit 14 Jahren angeboten wird: „Es ist absolut beeindruckend, was die Pferde bewirken“, lobt die erfolgreiche Dressurreiterin das Essener Projekt.

Isabell Werth hat inzwischen auch mehrere Bücher über den Umgang mit Pferden geschrieben. Wer Glück hatte, bekam am Sonntag sogar eine signierte Ausgabe der Reiterin, die zehn Prozent des Erlöses aus dem Buchverkauf an den Carolinenhof spendete. Ebenso begeistert vom Angebot des Essener Reiterhofes zeigte sich FUNKE-Verlegerin Julia Becker, die die Summe von 100 Euro noch einmal großzügig auf 3000 Euro aufstockte. Mit dem Geld ist der Unterhalt eines Therapiepferdes für ein ganzes Jahr gesichert.

Die dem Reitsport seit langem verbundene Verlegerin und Gesellschafterin der FUNKE-Mediengruppe zeigte sich nach einem Rundgang über den Carolinenhof tief beeindruckt von den angebotenen Therapiemöglichkeiten und der vorbildlichen Pferdehaltung. „Als Mutter von drei Kindern, deren Leben durch das Aufwachsen auf unserem Hof immer schon von Pferden begleitet wurde, liegt mir die großartige Arbeit des gesamten Teams auf dem Carolinenhof sehr am Herzen“, so Julia Becker. „Wenn man die glücklichen Augen der beeinträchtigen Kinder sieht, die auf dem Rücken der entspannten Therapiepferde ein Stück Normalität erleben, dann kann man nicht verstehen, warum das therapeutische Reiten nach wie vor von den Krankenkassen abgelehnt wird. Hier muss sich dringend etwas ändern. Gemeinsam mit Isabell Werth möchte ich mich dafür einsetzen, dass noch mehr Menschen mit unterschiedlichster Beeinträchtigungen, physischer und psychischer Art, von dieser nachweislich hocherfolgreichen Therapieform profitieren können.“

Der Essener Carolinenhof ist die größte Einrichtung für therapeutisches Reiten in Deutschland

Mehr als 500 Gäste und Unterstützer überzeugten sich beim Sommerfest ebenfalls vom besonderen Angebot des integrativen Reiterhofs, der mittlerweile die „größte Einrichtung für therapeutisches Reiten in Deutschland ist“, erklärt Carsten Knauer, der den Carolinenhof und die dazugehörige Stiftung zusammen mit seiner Frau Sabine gegründet hat. Auf Spendengelder sei man allerdings dringend angewiesen, denn für rund ein Drittel der Besucher sei es finanziell unmöglich, die Therapiekosten selber zu tragen, sagt Knauer.

Mehr als 300 Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Menschen mit geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung, aber auch mit schwerer Missbrauchserfahrung, kommen auf dem Carolinenhof jede Woche zur Hippo-Therapie, zum integrativer Reitunterricht oder zum Voltigieren. 34 Pferde gehören zur Herde, die eben nicht normale Reitschul-Tiere sind, sondern gewissermaßen Co-Therapeuten auf vier Hufen, die täglich weiter trainiert und ausgebildet würden, um die Arbeit mit den Teilnehmern erfolgreich und absolut sicher zu gestalten, erklärt Knauer.

Der Rhythmus der Bewegung, die vertraute Nähe zu den Pferden, aber auch das wachsende Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten würden beispielsweise Gleichgewicht und Konzentration stärken, emotionale und muskuläre Blockaden lösen und die jungen Reiterinnen und Reiter einfach glücklicher machen, sagt Knauer. Denn wer den Carolinenhof besuche, der gehe einfach zum Reitunterricht und nicht zur Therapie, macht Knauer die Besonderheit dieser ungewöhnlichen Normalität eines integrativen Reitstalls deutlich.

Etwa ein Drittel der Besucherinnen und Besucher habe dabei keine Beeinträchtigung, denn der Carolinenhof steht für gelebte Inklusion. Und für die Teilnehmer mit Handicap stehen jede Menge Hilfsmittel bereit. Die reichen von speziellen Sätteln bis zur besonderen Aufstiegshilfe, die auch den Wechsel vom Rollstuhl auf den Pferderücken problemlos möglich macht.

Gleichwohl bekommt der Carolinenhof bis heute keine öffentliche finanzielle Unterstützung. Und bei den Krankenkassen habe das therapeutische Reiten in der Regel nach wie vor einen schweren Stand, bedauert auch Isabell Werth, die auf ihrem Reiterhof in Rheinberg selber Pferde ausbildet und weiß, was ein Turnierpferd mitbringen muss.

Therapie-Pferde benötigten indes ganz andere Qualitäten, sagt Werth. Sie dürften nicht zu groß sein, müssten ein robustes Nervenkostüm mitbringen und das Vermögen, die Verantwortung für den Reiter zu übernehmen, sagt die 14-fache Medaillengewinnerin bei Olympia.

Nur zwei Stunden pro Tag werden die Pferde auf dem Carolinenhof deshalb für das therapeutische Reiten eingesetzt, weil sie sich ständig auf neue Reiterinnen und Reiter mit ihren unterschiedlichen Handicaps einstellen müssten. Begleitet werden Pferd und Reiter dabei von drei, bisweilen sogar vier Reittherapeuten, die führen, sichern und für einen reibungslosen Ablauf sorgen, während die zumeist enorm belasteten Eltern auf dem malerisch gelegenen Reiterhof ein wenig Auszeit genießen könnten, freut sich Knauer.

Der Essener Carolinenhof sucht händeringend nach Reittherapeuten

Neben privaten Spendern, die die Arbeit des Carolinenhofs ermöglichen, beispielsweise auch durch Patenschaften, die jeder für ein Pferd oder eine bestimmte Therapie übernehmen kann, benötige der Betrieb vor allem weitere Reittherapeuten. Kräfte würden händeringend gesucht und könnten sich jederzeit melden, erklärt Knauer. Mehr Infos unter carolinenhof.org

Von Martina Schürmann
30.06.2025, 16:55 Uhr • Lesezeit: 6 Minuten
Original erschienen in der WAZ vom 30.6.2025